BROOKBECKS BASTARDE (FORTSETZUNG)



Es ist endlich Dienstag...

Hejo ging zum Bäckerladen und schaute durch die Scheiben. Noch gerade hatte die Kirchturmglocke drei Uhr geläutet. Er kam zurück zur Busstation. "Schon vier nach dreie auf der Bäckeruhr." sagte er. "Den Bus fährt nicht der Schrage, dann wär'n die schon hier." Klamms lehnte neben der Victoria Vicky am Halteschild und schnippte die Zigarettenkippe weg. Sie landete neben dem Moped, das sich Hejo von Manni Worpenberg geliehen hatte.
"Heute ist doch Dienstag, oder?" fragte Hejo, und Ralf verdrehte die Augen.
Weitere zwei Minuten später hörten sie den Bus auf der Hütter Straße. Kramms spürte, wie sein Puls noch einmal an Tempo zunahm und zog sein kariertes Hemd aus der Hose.
Der Bus drehte eine Runde um das Rondell der Endstation, der Büssing-Bus Fritz tippte an die Mütze. Lachend stiegen die roten Schwestern aus.
"Hallo", sagten Hejo und Kramms, die alten Jungen. "Hallo", sagten die jungen Frauen.
"Da seid ihr ja!" sagte Hejo.
"Ja!" sagte Claudia.
"Der Ball ist da in der Tasche", sagte Kramms und zeigte auf den Gepäckträger seines Mopeds.
"Claudia hat keine Lust auf Kamps Sonnenschein und Fußball. Sie hat einen kaputten Zehnagel." sagte Lydia. Alle schauten zu Boden auf Claudias rechten großen Zeh. Ein weißer Mullverband ragte aus der schwarzen Sandale. "Ich hätte mehr Lust aufs Wellenbad in Bad Dressen. Badezeug haben wir dabei." sagte Claudia.
"Ich hätt' mehr Lust auf Kamps Sonnenschein. Gebadet habe ich schon tausend Mal in diesem Sommer." sagte Lydia und warf die Haare nach hinten.
"Ehe wir Schnickschnackschnuck machen müssen, fahr' ich mit dir einfach nach Bad Dressen und hol' vorher meine Badesachen zuhause ab. Bolzen können wir ja immer noch mal zusammen", sagte Hejo zu Claudia.
Claudia nickte und warf Lydia einen verstohlenen Blick zu. Kramms blickte Lydia an und nickte auch. Hejo nickte gegen Manni Worpenbergs Kreidler Florett.
"Der Ball läuft ja nicht weg", lachte Lydia. "Der hat ja schon zehn Jahre lang gewartet."
"Gut", sagte Kramms zu Lydia, "drehen wir eine Runde durch die Pampas und kicken dann rum. Vielleicht traditionell auf Kamps Sonnenschein."

Wie Kramms – und wahrscheinlich auch Lydia – sich das Folgende gedacht hatte, so klappt es nicht. Sie bekommen Streit.

"Schrottplatz, Brettergymnasium, Hauptschule, Lehre, Studium, hast du doch gedacht, Kleiner, oder? Wie will die dumme Tussi vom Schrottplatz Lehrerin werden? hast du gedacht. Aber ich werd' Lehrerin, da kannst du Gift drauf nehmen! Abitur braucht man nicht immer dafür, und wenn man's braucht, dann mach' ich's."
Kramms trat den Ball aus Lumpen platt. Die steigt ohne großes Getue auf mein Moped. Als wenn wir's schon jahrelang getan hätten. Die kitzelt mich beim Fahren. Die stuckt mir ihre überirdenen Bubus in den Rücken, dass ich den Tunnelblick kriege. Und wir landen fast im Acker. Die lacht, schlingt mir dir Arme um den Hals. Quetscht mir den Hintern ein mit ihren Wahnsinnsbeinen, dass mir der Pinuppel auf den Tankdeckel zielt. Und dann dieser ganze uralte Mist hier? Dann sagt die Kleiner. Würgt mir so ein Ding rein? Zwei Jahre längeres Leben in dem Kaff da unten und würgt mir den Kleinen rein? Die rote Hexe ist schön, aber auch schön durch den Wind. Will die eine Diskussionsveranstaltung in Heimatkunde und Geschichte? Oder was will sie?
Kramms schob ihr den seltsamen Ball zu. Ein neckischer, linkischer Versuch. Sie drosch ihn an ihm vorbei in die Sedimentfelsen des Baumkuchens und die Abpraller noch viele weitere Male, reagierte ihre Erinnerungen ab, von denen Kramms nur vage Vorstellungen hatte. Er versuchte, ein paar klare Gedanken über die Lust zu schieben, um in diesen Nebel hineinzusehen, blieb an der Oberfläche hängen, und die Oberfläche war sie selbst, wie sie den Ball stoppte, etwas vor sich rollen ließ und dann in die Felswand schoss. Da war ihre Haut, und da war die Grenze.Ihre langen Haare flogen, ihr Rücken spannte sich, sie verlor beim fünften oder sechsten Schuss die linke Sandale in ihrem autistischen Rausch, die Muskeln ihrer Beine schienen gegen die Enge der tiefblauen Strumpfhose zu rebellieren.
Kramms starrte sie an, minutenlang. Sie fixierte den Ball und den Felsen. Und eine ähnliche Rebellion gegen die Enge seiner Jeans spürte er hinter dem Reißverschluss. Irgendwann fing Lydia den Ball auf und warf ihn Kramms an den Kopf, nicht sehr aggressiv, aber eben auch nicht sanft: "Mein Vater war ein Schweiger und meine Mutter konnte nur Kauderwelsch, nur mit den Armen konnte die fuchteln. Wenn ich mit ihr früher zum Einkaufen ging, machten die Leute Platz, und wir waren immer schnell an der Reihe, damit wir auch schnell wieder weg waren. Sie konnten uns nicht riechen, die Dorfnasen, obwohl wir bestimmt nicht rochen. Du kommst aus diesem Kaff da unten und ich vom Schrottplatz. Und meine Zwillingsschwester Claudia und ich konnten nur Fußballspielen. Verstehste?" Er nickte oben, während es unten pochte. "Wer's glaubt", sagte sie, warf die rote Mähne zurück. Aber jetzt lächelte sie. Immerhin. Sie warf wieder die Haare nach hinten, als wolle sie etwas abschütteln. "Okay. Es ist nicht deine Sache. Komm, dribbeln wir wie damals!"
Spielerisch, aber verbissen und stumm, kämpften sie um den Ball, deckten ihn mit dem Körper, drehten plötzlich herum, täuschten etwas an, drängten sich ab... Und manchmal hätte ein Schiedsrichter ihre Aktionen abgepfiffen. Nach einiger Zeit verlor sich allerdings mehr und mehr der angespannte Ernst ihrer Bewegungen, gespieltes Ächzen und Fluchen mischte sich in das Gerangel um die plumpe Lumpenkugel.
"Treter", rief Lydia irgendwann und spielte Kramms den Ball durch die Beine. Sie lachte. "Stolperliese", grinste Kramms, rempelte sie mit angezogenen Ellbogen, aber regelgerecht aus der Bahn, nahm ihn ihr wieder ab. "Warte, Bürschchen!" sagte sie. "Glaubste, roter Lulatsch?" antwortete er. "Gurkenkönig!" sagte sie. Kramms wollte Schlesische Gurkenkönigin erwidern, biss sich aber im letzten Moment auf die Lippen. Er rief: "Queen O-Bein!" Sie hielt inne, stellte sich mit den Händen in den Hüften vor ihm auf, streckte ihm ihre Brüste entgegen und verrenkte die Beine bis sich ihre Kniescheiben berührten zu einem X. "Analphabet", lachte sie jetzt. "Okay! Hab' mich vertan! Ich kuck' Mädelsbeine nicht so genau an!" "Du hältst lieber deine Nase in Sachen, die dich nichts angehen, oder?" "Genau", sagte Kramms. "Dürfte ich denn noch mal kurz?" Dabei schnüffelte er mit hochgereckter Nase in die Luft. "Pustekuchen", sagte sie. "Hol' dir die Pille!"Wie Rugbyspieler standen sie sich irgendwann gegenüber, die schweißfeuchten Stirnen gegeneinander gelehnt. Sie schauten sich sekundenlang starr in die Augen, keiner durfte lachen, wer zuerst lachen würde, hätte verloren. Kramms schielte sie in verschiedenen Varianten an, Lydia verdrehte die Nase, er schnitt Grimassen, sie zeigte ihm das Weiße in ihren Augen... Er bewegte sich zuerst, und Lydia trat einen Schritt zurück. "Komm", sagte sie, "Runde zwei." Kramms versuchte, sie in den Clinch zu nehmen, aus dem sie sich herauswand, um den Ball, der schon längst an den Rand des Argentiner Lochs gerollt war, mit einem Spannschuss über die Böschung zu kicken. Es platschte irgendwann tief unten. "Das ist alles kalter Kaffee", sagte Lydia, zog die andere Sandale aus und stieg den Pfad hinauf, der links an der Felsenkante zum höchsten Punkt des Baumkuchens führte.
Was ist das jetzt wieder? dachte Ralf Kramms, zögerte sekundenlang, folgte ihr zunächst unschlüssig, dann schneller. Er sah ihr kurzes Kleid sich über ihrem strammen Hintern und ihre Oberschenkel spannen, sah ihre Strumpfhose, die sie beim Fußballspielen wohl abgeschrieben hatte, die Löcher an den Fußsohlen und die Laufmasche auf ihrer linken Wade hoch bis in die Kniekehle sah er, sah rotes Haar weit unter dem Schulterblatt schwingen und hörte ihren keuchenden Atem. Hatte irgendeine geheime Kraft beim Kicken in seiner Jeans etwas Platz geschaffen, so gab jetzt genau diese geheime Kraft wieder den Befehl zum Gegenteil. Seine Fantasien spielten Katz und Maus mit seinem Körper, sein Mund stand weit offen. Kurz sah er Inga, in die er verliebt war, hinter dem Fenster des Nonneninternates, weit weg im Moor und unerreichbar. Aber ihr Bild verschwamm wieder zwischen Lydias langen Schenkeln. Nur eine Armlänge entfernt. Halt die Pfoten bei dir, befahl der Kopfkramms. Lydia schaute sich um, Ralf auf den hellen Kalksand und die Steine im Pfad. "Du hast deine Strümpfe ruiniert", sagte er. Ihm fiel nichts Besseres ein. Sie nickte und stieg weiter auf.
Oben schaute Kramms kurz über die Felskante nach seinem Moped in den unsichtbaren Fleck des Scheiterhaufens. Es drehte sich alles, der Argentiner Topf, das Tal mit dem Dorf weit unten, dieser wolkenlose Himmel darüber. Aber ein Drehbuch für das alles hier hatte er nicht. Das hatte scheinbar sie, die schöne unberechenbare Lydia, die zwischen Vergangenheit und jetzt pendelte wie ihre Haarmatte beim Gehen. "Hier?" fragte er. Aber Lydia saß schon im trockenen kurzen Gras und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.
Nach all dem, und nach all dem, was darauf folgen sollte, lagen Kramms und Lydia im Gras oben auf dem Baumkuchen. Und die Nachmittags-Super Constellation röhrte auf dem Weg von Amsterdam nach Berlin über den Karrenberg. "Wohin fliegen wir?" flüsterte Lydia. "Was weiß ich", sagte Kramms heiser, "ich bin ja der Kleine, und du der rote Lulatsch." Und dann dribbelten ihre Zungen an der Strafraumgrenze, und niemand war da, der das Spiel abpfiff... Kein Schiri, keine Linienrichter, kein Direktor, nicht Das Kreuz oder der Leibhaftige... Er war der Leibhaftige und sie war die Leibhaftige und ihre Leiber hafteten leibhaftig immer mehr aneinander, nur dann, wenn sie sich an ihren Kleidern zu schaffen machten und die klebrigzittrigen Hände zwischen den Körpern Raum suchten, bildeten sich Schneisen. Lydia hatte Probleme mit dem amerikanischen Koppelschloss seines Hosengürtels, Kramms' linke Hand verwechselte mehrmals Knopflöcher und Knöpfe ihres Kleides. Und als er endlich die Lösung gefunden hatte, setzte sich Lydia auf und zog es sich ganz einfach über den Kopf, während Ralf Kramms sich unter ihr verrenkte, um das karierte Holzfällerhemd vom Oberkörper zu bekommen. Er richtete sich auf und folgte ihrem Herabrutschen über seine Beine, streifte die Träger des Bikinioberteiles über ihre Schultern. "Der Haken ist vorne", keuchte sie und zog ihm die Jeans mit der Unterhose runter bis zu den Knien. Und während Haken und Öse aus Metall waren, waren es ihre vollen festen Brüste nicht. In Sekundenbruchteilen warf sein innerer Archivar alle Dessousabteilungen der Versandhauskataloge, alle Pin ups, all die mühsam erjagten Blicke durch Ritzen in Umkleidekabinen, die schlüssellochförmigen Badezimmerszenen mit seinen älteren Cousinen, alle Marilyn Monroe-Fotos in einen Reißwolf des Kopflabyrinthes und schredderte daraus gesichtlose Moleküle. Da war'n sie, ihre leibhaftigen Naturwunder, größer als Ingas, aber nicht so drall wie bei der Monroe oder so gewaltig wie die von Anita Ekberg in "La dolce vita". Als er sie mit den Innenflächen seiner Hände betastete, streichelte und dann ihre Brustwarzen zwischen Daumen und Zeigefinger etwas rollen ließ, Lydia den Kopf in den Nacken warf und ein gedehntes Oh hauchte, da schwappte ihm der Samba im Magen und gleichzeitig tanzten Elfen im Nebel auf der Binnenseite seiner Augen. Fast hätte Kramms "meine Güte" gestöhnt, und als Lydia für einige Sekunden sein leidgeprüftes Unterteil in die Hand nahm, da murmelte er wirklich "oh, meine Güte", aber Lydia zog ihre Hand wieder zurück und beugte sich über ihn. Kramms schlang die Arme um sie, spürte die trockene Festigkeit ihrer leicht gelockten Haarstränen auf den Unterarmen und schob seine Hände unter die rote Mähne auf die fiebrige Haut ihres Rückens. Und dann war sie wieder da, ihre Hand, und die versuchte den Rhythmus seines stoßenden Atems zu finden. Three, two, one, zero... Kramms hatte im Countdown noch versucht, die innere Bremse zu ziehen, aber fand den Hebel nicht, hob dann wie von der Fliehkraft getrieben aus allen bekannten Flugbahnen ab und schoss ziellos ins kurze verdörrte Gras des Baumkuchens.
"Oh, näääää, nich'..., Praecox!" rief er. "Männliche und weibliche Lustkurve unterliegen verschiedenen Gesetzen, so daß die Frau, die einen unachtsamen oder unerfahrenen Mann hat, der den Orgasmus in schnellerem Tempo ungehemmt ablaufen läßt, den eigentlichen Genuß verpaßt. Sich dem Lustanstieg der Frau, soweit es ihm möglich ist, anzupassen und auf ihren O. bedacht zu sein, ist ein Stück männlicher Noblesse..." (Medizinisches Lexikon für Gesunde und Kranke, 1957)
Das las er später. Jetzt lag er in einem wilden Gemisch aus halber Befriedigung, halber Scham und Angst im Gras. Lydia stand auf, stand wie eine Statue einige Sekunden in der Nachmittagssonne, nur noch die zerfledderte Strumpfhose und das Bikiniunterteil darunter am Leib. Kramms fror durch seine Schweißlasur und hatte seinen Unterleib unter dem Hemd versteckt. "Lydia, so'n Scheiß. Geh' nicht!"
Aber Lydia lächelte, nicht zynisch, enttäuscht oder wütend. Sie lächelte, schüttelte den Kopf, griff dabei die Bündchen der Strumpf- und Bikinihose gleichzeitig, zog beide aus, ließ die Bikinihose auf ihr zerknülltes Kleid fallen und warf die lädierte Strumpfhose über die Kante des Baumkuchens in die Wand aus Sedimenten. Sie beugte sich über den verschüchterten, auf seine siebzehn Jahre geschrumpften Kramms. "Komm mich mal besuchen", sang sie leise durch ihre tiefen Atemzüge, "ich back dir einen Kuchen", sang sie, "ich zeig dir meinen Leberfleck und puste deine Sorgen weg. So wie du bist, lass ich dich sein, und klopfst du an, lass ich dich ein." Und langsam senkte sie sich über Kramms, nachdem sie das karierte Flanellhemd zur Seite geworfen hatte. Der klopfte ganz sacht an ihr Tor, an diese warme, weiche Tor mit dem herbstrot flammenden Wein darüber, und das Tor war schon geöffnet und dahinter lag eine schmale dunkle Halle, in die sie ihn einließ, und die er nie zuvor betreten hatte...
In langen Wellen hob und senkte sie sich über ihn und atmete in die Täler. In der ersten Dünung knisterte noch der leichte Juckreiz der Nachorgasmusphase im Krammschen Penis. Dann war da nur noch ansteigende Wonne. Lydia ließ sich in den Rücken fallen, dann irgendwann wieder nach vorne, sodass ihre Brüste auf seine stießen, ihre Zungen sich ineinander verfingen, die schweren Atemzüge beider mit dem leisen Wimmern darin ineinander flossen. Kramms horchte in Lydia hinein und rollte sie auf den Rücken. Das Kleid verfing sich in ihrem linken Bein, dem Spielbein, und sie kickte es weg. Schnell fand sie ihren Rhythmus wieder, und Kramms sah in ihren halbgeöffneten Augen den aufsteigenden Nebel, der sich Minuten zuvor hinter seinen Augen gebildet hatte, trotz aller Bremsversuche. Ihr Körper wurde heftiger, das Grün ihrer Augen schwamm im Dunst, das Wimmern in ihrem stoßenden Atem wurde heller, erreichte aber nie Mezzosopran einer Kreissäge. "Oh, Ralf", hechelte sie hinein, "oh, mein Gott..." "Ja", keuchte der (Sein Name und Gott in einem Atemzug? Seltsam! Was hatte der mit dem hier zu tun?). Und sie wurden schneller. Und sie warf den Kopf hin und her. "Ja!" Und es dauerte nur noch eine kleine Weile. (Aber wer weiß schon die Zeit in dieser Zeit?) In die kleinen Schreie mischten sich die großen, in ihrem Körper schienen einen Moment lang kurze elektrische Wellen alles zum Stillstand zu bringen. Wie eine Spule umspannte sie das, was von Kramms noch übrig war. Und da war ein Moment, eine Weile oder eine Ewigkeit des Verharrens. Dann schrie sie auf in einem Tumult aus aufeinanderfolgenden Kurzschlüssen. Und noch in der gleichen Sekunde rief der innere Urmeister in Kramms: "Es gibt nichts mehr, in das du hineinhorchen musst!" Und Kramms keuchte auf und zuckte hinein in einen ihrer letzten Kurzschlüsse.

Der Baumkuchen hatte es ungerührt hingenommen, nur Lydias Strumpfhose, die auf halber Strecke in der Wand aus Sedimenten in einer mickrigen Birke hängen geblieben war, hatte ein wenig im schwachen Wind gewedelt. Aber Brookbeck war explodiert. Der Spitzturm der Dorfkirche mit Kreuz und Hahn obendrauf war in den Himmel geschossen, aus Lottes Bude befreiten sich die halben Hähnchen vom Spieß, das Dreimeterbrett im Schwimmbad katapultierte eine Jungfrau aus Hardenhausen in die Stratosphäre, Stänks Cigarillo klappte um und stieg auf in die Dunstabzugshaube, der Eimer mit Fassadenfarbe auf dem Gerüst gegenüber vom Edeka krachte gegen die oberste Brüstung und die Hunde im Innern des Schrottplatzes bissen sich im Gitter fest, um nicht in einer Windhose zu verschwinden, und die Lerchen fielen scheppernd vom Himmel zwischen die Gartenzwerge an Alfons Gronemeiers Gartenteich...

Lydia und Kramms lagen sich lange Zeit wie gerade noch Überlebende in den Armen. "Na", sagte Kramms. "Hmmm..., ja", sagte Lydia. "Ja, ja, hmmm...""Darf ich vielleicht gleich mal in deinem Haar etwas rumschnüffeln?" fragte er. "Ich hab' das bei all der Aufregung total vergessen. Es ist diese wahrlich vertrackte Sache mit den Schlesischen Gurkenhappen." "Bitte, warum nicht!" sagte sie. "Wir sind ja unter uns." Mit der Nase fuhr er auf und ab in ihrer roten Matte, und mit seiner dabei auf und ab gleitenden Brust berührte er ganz leicht ihre aufragenden Brüste. "Was riechst du, Schnuffi?" fragte sie. Seine Nase, die nicht genau wusste, ob sie nun Nase sein sollte oder vielleicht lieber Brust auf ihren sich anspitzenden Brustwarzen, sagte: "Weiß nich' genau, Lulatsch. Schlesische Gurkenhappen sind es jedenfalls nicht!" Lydia lachte: "Schlesische Gurkenhappen? Kramms, du bist bekloppt!" "Jau", sagte Kramms, "bekloppt, roter Lulatsch. They're coming to take me away, hahahihihoho! Der richtige Zeitpunkt wäre jetzt." Lydia werkelte in seinem Nackenhaar.
"Du, Lulatsch", flüsterte er ihr ins Ohr und schmatzte dabei ihren Gehörgang mit der Zunge zur Schnecke, "war das ein Orgasmus, was du da hattest? Ich meine dieses kurze Anhalten und dann das Gezippel am Schluss?" Sie wälzte sich auf ihn und verschwand mit ihrem Kopf in seiner Achsel, tauchte aber sofort wieder auf. "Glaub' schon, Kleiner! Danach kommt, glaub' ich, nix mehr. Man muss dann wohl von vorne anfangen." Dabei richtete sie sich auf. "Ich bin froh, dass ich ihn nicht in den Müll geworfen habe, den alten Ball", sagte Kramms ernst. "Es war eine ganz gute Idee, den auf Kamps Sonnenschein zu vergessen", sagte sie. Sie ließ sich wieder ins Gras fallen.
Kramms knutschte ihren Hals. "Frau Lehrerin, wie heißt das hier?" fragte Kramms. "Hals", sagte die. "Wusste ich!" sagte Kramms. "Das linke Schlüsselbein, das ist das hier", sagte Kramms. "Das stimmt!" sagte Frau Münz. "In der Achselhöhle gibt's einen kleinen Wald. Er ist jetzt etwas feucht. Und riechen tut er frisch." "Echt?" fragte Lydia. "Diese Dinger hier nennen sich Brüste. Eine links und eine rechts." "Genau richtig", sagte die Münz. "Mit der Zunge kann man sie spitz machen. Diese hier heißt Pink und die hier Floyd." sagte Kramms, während er sie spitz machte. "Erregen", sagte Lydia. "Stimmt", sagte Kramms, "sie werden dann knusprig." "Wie werden die dann?" fragte die Lehrerin. "Knus-pe-rich", sagte Kramms. "Und dieses Loch hier nennt man Bauchnabel. Als Gott die Menschen erschaffen hatte, da lagen sie alle in einer Reihe. Und da ging Gott an der Reihe vorbei und piekte jedem in den Bauch. Du bist fertig, du bist fertig, du bist fertig... Daher kommt der Bauchnabel." Frau Münz lachte und wuselte sein Haar. "Woher kennst du das?" fragte sie. "Von meiner Mutter weiß ich das, Frau Münz." "Und weiter?" fragte Lydia. "Weiß ich nicht so genau, Frau Münz. Da, wo Sie noch neulich die Strumpfhose anhatten, da ist jetzt noch so eine Linie an Ihrem Bauch rundum. Darf man da drüber weg?" "Weiß auch nicht!" sagte Frau Münz. "Aber hier, etwas unten drunter, da ist noch so eine Linie. Vom Bikini, glaube ich." "Ach, kuck mal!" "Na, das hier ist ein dunkelroter Wald auf einem Hügel. Oben breit und unten schmaler." "Wie heißt der Hügel?" fragte Lydia. "Weiß nicht, Frau Münz. Irgendwas mit V jedenfalls. Wie so 'n Stern, glaub ich. Irgendwas mit Nuss." "Venushügel", sagte Lydia. "Ve-nuss-hügel, genau. Das es einen dunkelroten Wald gibt, das wusste ich bisher nicht, Frau Münz." "Ich weiß das auch erst seit ein paar Jahren, Ralf." "Na?" fragte Lydia. "Wald fand ich immer schon dufte, Frau Münz. Warum im Dorf ein Spielplatz ist, weiß ich nicht. Direkt hinter dem Spielplatz ist doch die Gummiwiese, dahinter ist schon der Wald. Im Wald war's immer schon schöner als auf dem Spielplatz." "Ja", sagte Frau Münz, "auf dem Spielplatz, da war ich noch nie." "Ich auch nicht", sagte Kramms , "da scheißt doch der Hund drauf." "Aber wir waren beim Wald, Ralf."
"Du, Lydia", sagte Kramms, "wenn jetzt ein Wanderer käme hier oben am Baumkuchen..." Sie lachte. "Hab' ich gerade auch mal gedacht. Etwas mehr Gebüsch wäre besser." sagte sie, rückte unter seiner Waldnase weg, stand auf, nahm seine und ihre Kleider und ging splitternackt vor ihm her vom Rande des Baumkuchens weg auf mehrere junge Buchen und Büsche zu, die mehr Schutz boten. Mein Gott, dachte er, als er sie so sah, Teufel auch... Heiliges Kanonenrohr, dachte er, und das hier ist kein Kino. Und er ging zurück zur Kante des Baumkuchens und lauerte vorsichtig hinunter nach seinem Moped. Es stand noch da wie zuvor. Und Lydias Strumpfhose hing in einem Birkenzweig in der Wand aus Sedimenten.
"Frau Münz, ist die Pause vorbei? Und wenn sie rum ist, machen wir dann wieder Bio?" "Natürlich", sagte Lydia. "Wir beginnen mit dem Haar, gehen dann noch einmal alles kurz durch. Als Wiederholung. Dann machen wir weiter." "Mit dem Wald", sagte Kramms. "Das ganze Gebiet hier unten heißt Scham. Oder, Frau Münz? Wenn man es betritt, muss man sich dann so richtig katholisch einen abschämen? Oder, Frau Münz? Schämen Sie sich, Frau Münz?" Aber Frau Münz antwortete nur mit einem Seufzer. "Ich glaube, ich schäme mich eigentlich nicht so, wie man das eigentlich müsste", sagte Kramms. Sie seufzte nur wieder, mehrmals hintereinander seufzte sie, zog ihn an den Schultern auf sich, wischte sich die Haare aus dem Gesicht und wogte leicht hin und her mit all dem, was sich Scham nennt, und der ganze wunderschöne Rest ihres Körpers war auch dabei, bis das Schulglöcklein wieder läutete.
"Schule kann so schön sein." sagte Kramms danach. "Oder, Frau Münz?" "Ja, mein Kleiner, schön." sagte sie. "Aber jetzt möchte ich eine Zigarette!"
Die drei letzten Wy Chester aus seiner Jeans machten einen sehr lädierten Eindruck. Zwei strich er wieder grade und rund. Lydia zog sich sein Flanellhemd an, er die Jeans. "Mensch, Kramms", sagte sie und tat einen tiefen Zug, "auf die Idee mit dem Ball hättest du eher kommen sollen." "Neee", antwortete er ernst und zwirbelte in ihren Haaren, "da bin ich ganz anderer Meinung. Das war genau jetzt richtig. Alles war so verdammt richtig. Jedenfalls für mich als Kleiner. Al dente, Frau Münz, wenn sie wissen, was ich meine, total al dente." (...)